Türkei (Fortsetzung)

Nachdem sich in der Mitte der Türkei der Winter bereits ankündigt, beschließe ich, die gebirgige Osthälfte der Türkei im Süden zu durchqueren. 5 °C mehr oder weniger machen mit dem Motorrad schon einen Unterschied, besonders, wenn man voller Vorfreude auf den warmen Orient und vielmehr auch aus Platzgründen keine Wintersachen eingepackt hat. Ich fahre also zunächst südwärts nach Gaziantep und damit auch in Richtung der Grenze zu Syrien. Ein Blick auf die Seite des Auswärtigen Amtes mit Informationen zur Türkei stimmt mich nicht gerade entspannter — wenn es nicht unbedingt nötig sei, solle man sich aus diesem Gebiet lieber fernhalten. Andererseits solle man die aktuelle Berichterstattung verfolgen und darin steht nichts über etwaige Auseinandersetzungen zwischen türkischem Militär und militanten Gruppen. Ich wohne, soweit es geht, bei Locals, also Ortsansässigen, die über etwaige Änderungen der allgemeinen Sicherheitslage wahrscheinlich am schnellsten Bescheid wissen.

Insgesamt ist in der Türkei schon eine höhere Militärpräsenz zu beobachten — um die Blaue Moschee in Istanbul sind beispielsweise Stellungen des Militärs errichtet mit Soldaten und schweren Militärfahrzeugen. Dementsprechend finden sich auch hier im Südosten der Türkei an einigen Stadteingängen Vorkehrungen in Form von Kontrollstellen des Militärs oder der Polizei. Bei der Bundeswehr heißt das “Show of Force” und lässt nicht unmittelbar darauf schließen, ob die Lage jetzt nun gerade kritisch ist oder man nur Präsenz zeigen will.

Beobachten konnte ich das Leben in den Städten, welches in jedem einzelnen Fall ganz normal und das Umfeld niemals unsicher auf mich gewirkt hat — die Straßen sind voll mit Menschen, es wird gebaut, zu Berufsverkehrs- und auch sonstigen zufälligen Zeiten steht man im Stau. Die Frage nach der jeweiligen Sicherheitslage sollte mir immer damit beantwortet werden, dass ich mein Motorrad über Nacht besser anleinen soll — nun gut, der Fokus liegt also eher auf allgemeine Vorkehrungen gegen Kleinkriminalität.

Nach Gaziantep fahre ich auf dem Weg zur nächsten Station kurz vor Diyarbakir eine Tankstelle an. Dort hilft ein Junge als Tankwart aus, er und sein Freund können ein paar Worte Englisch sprechen. Die beiden sind interessiert, wo ich herkomme, was das Benzin in Deutschland kostet, fragen, ob ich Instagram habe. Ein weiteres Mal fühle ich mich mehr als willkommen: Die beiden Jungs tanken das Motorrad, bestehen darauf, meinen Scheinwerfer und mein Visier sauberzumachen. Wir machen ein Foto und als ich mich verabschiede, übersetzt einer auf seinem Handy einen Satz aus dem Türkischen: “Pass auf dich auf”.

Meine weitere Reise durch den Osten der Türkei führt mich nach Batman und schließlich nach Van, vorbei am Van-See, dem phonetischen Namensvetter zum See in Berlin und größten Binnensee der Türkei. In beiden Städten habe ich Glück mit meinen Gastgebern und so werde ich in Batman kurzerhand mit in eine Schule genommen, um zunächst dem Direktor und den Lehrern und dann auch zweien Schulklassen vorgestellt zu werden. Auf Englisch stellen die Schüler einige Fragen und möchten auch, dass ich etwas auf Deutsch singe. Diesen Wunsch kann man Sechstklässlern ja nicht ausschlagen und auf Anhieb fällt mir kein besseres Lied ein als “Marmor, Stein und Eisen bricht” von Drafi Deutscher. Den Schülern gefällt es und als Dankeschön bekomme ich gleich zwei türkische Lieder dargeboten. Bei einer jüngeren Schulklasse darf ich eine ganze Stunde Englischunterricht halten, was Spaß macht. Ich kann mich dahingehend nicht mehr ganz an die eigene Schulzeit erinnern, aber in dieser Schule wird man als (Gast-)Lehrer nach der Stunde von den Schülern bis zum Lehrerzimmer wie ein Superstar begleitet, was zugleich nett und anstrengend ist.

Nach ein paar weiteren Tagen in Van mache ich mich auf den Weg zum nördlicher gelegenen, größten Grenzübergang in den Iran. Ich fahre zunächst entlang des Van-Sees und dann in Richtung Dogubeyazit, wo der angeblich sehr sehenswerte Ishak-Pascha-Palast liegt. Die einzige logistisch sinnvolle Verbindung dorthin führt entlang der iranischen Grenze durch einen Bergpass. In diesem wird es deutlich kühler, in der Nachmittagssonne kann ich schneebedeckte Berge sehen. Ich fahre an einem Felsen vorbei, auf dem ich aus der Ferne einige Menschen stehen sehe. Mit dem nächsten Ziel schon vor Augen muss ich mich auf meiner Reise allzu oft daran erinnern, dass ich mein eigenes Tempo vorgeben kann und beschließe deshalb, anzuhalten und den Felsen zu besteigen — vermutlich gibt es dort oben etwas zu sehen. Als ich näher komme, sehe ich, dass es sich bei den Männern um so etwas wie Soldaten handelt, Flaggen sind auf ihren Uniformen aber keine. Sogleich geben sie mir mit Handzeichen zu verstehen, dass ich nicht nach oben kommen soll. Ich halte also inne und signalisiere, dass ich in friedlicher Mission unterwegs bin, während ich umkehre. Dann höre ich von einem der Soldaten etwas wie: “OK. Police. Your passport!”. Wie die Polizei schauen die Männer nicht gerade aus und deshalb mache ich mich langsam, aber beständig auf den Rückweg zum Motorrad. Dort angekommen, stehen zwei der vermeintlichen Soldaten bei mir und fragen wieder nach meinem Pass. Was wollen die von mir? Ein Überfall würde anders aussehen. Unsicher, ob ich das Dokument von ihnen wieder bekommen würde, reiche ich ihnen meinen internationalen Führerschein, den wollte bislang eh noch keiner sehen. Keiner der Männer kann wirklich Englisch und sie wollen, dass ich mit zu einem nahe gelegenen Haus komme. Da die Soldaten bislang nicht gerade einen freundlichen Eindruck machen, folge ich lieber meinem Navi und fahre weiter des Weges, nachdem ich meinen “Pass” zurückbekommen habe.

Nach ein paar weiteren Kurven kann ich sehen, dass die Straße mit massiven Betonklötzen verstellt ist und so muss ich doch umkehren. Sogleich wird dann ein Schuh aus der Situation: In dem Haus gibt es einen Soldaten, der Englisch spricht und erklärt, dass dieser Pass aus Sicherheitsgründen manchmal gesperrt und das Gebiet vom türkischen Militär überwacht wird. Die tatsächlichen Soldaten tragen nur Winterjacken über den eigentlichen Feldjacken mit Hoheitsabzeichen. An die türkische Gastfreundschaft gewöhnt, habe ich den Tee, der mir sogleich angeboten wird, fast schon erwartet. Sie wollen erfahren, wo ich herkomme und noch hinfahre, wir machen ein Foto zusammen und ich mich schließlich auf den Weg zurück nach Van, von wo aus ich am nächsten Tag einen anderen Grenzübergang in den Iran nehmen werde.

Was bleibt nun an Eindrücken aus der Türkei? Ich muss gestehen, dass ich mich von den zu bereisenden Ländern mit Blick auch die Türkei, ich sage mal, auf die anderen Länder mehr gefreut habe. Ich wurde jedoch eines besseren belehrt: Ich habe eine überaus gastfreundliche, lebensfrohe und doch ruhige und demütige Kultur kennen gelernt, moderne Ansichten einer aufstrebenden, jungen Bevölkerung, die sich mit Unsicherheit ob der Religionsorientierung und der politischen Änderungen in der Türkei konfrontiert sieht. Ich bin auf perfekten Straßen gefahren, vorbei an Bergpanoramen, habe die wundersame Landschaft Kappadokiens kennenlernen dürfen, habe pro Tag 5-15 Tee getrunken, habe viel Kebap, Köfte, Manti, Pide, Gözleme usw. probiert.

Insgesamt stellt die Türkei in meinen Augen einen tollen Mix dar aus Traditionsbewusstsein und Modernität, bietet eine gastfreundliche, lebensfrohe und unaufdringliche Kultur, tolles Essen, tolle Musik, und fühlt sich für ein islamisches Land noch immer sehr frei an.

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